Beim Aoraki in Aotearoa

Hansueli Zeller 19. März 2014

Schon vom Bett aus lässt sich anhand von akustischen Merkmalen feststellen, dass heute die geplante Bergtour zum Mount Avalanche wohl ins Wasser fällt. Der Blick aus dem Fenster bestätigt die Vermutung. Es ist neblig und nass im Arthurs Pass Village am heutigen Sonntag den 16. März. Na ja, die Meteorologen haben ja vorausgesagt, dass ein Sturmtief an diesem Wochenende über Neuseeland fegt. Es gibt aber definitiv keinen Grund zum jammern. Den in der vergangenen Woche war das Wetter auf der Südinsel von Neuseeland einfach der Hammer. Viele wolkenlose Tage mit angenehmen Temperaturen und einer super Fernsicht.

DSC00692

Lake Wakatipu, Blick in Richtung Glenorchy

Gewisse unter euch können sich sicher vorstellen, dass der Zeller bei diesen Voraussetzungen den Englischunterricht in Queenstown nicht jeden Tag besuchte… Fand ich schon immer das Beste am Studentenleben, dass man eigentlich fast immer ohne Probleme freinehmen kann:-)

So mietete ich ein Auto und unternahm eine kleine Reise zu einigen der schönsten Orten der Südinsel von Neuseeland. Von Queenstown ging die Reise über den Crown Ridge nach Wanaka, einem kleinen Dorf an einem wunderschönen See. Dort stand eine kleine Wanderung zum Roys Peak auf dem Programm. Ein 1600 m hoher Gipfel mit einer super Aussicht über den See von Wanaka, Lake Wanaka, und zum Matterhorn. Nein, nein, habe mich nicht vertippt. Auch in Neuseeland gibt es einen Berg, den man aufgrund seiner Form Matterhorn der Südalpen nennt. Ein wirklich wunderschöner Berg, der korrekt eigentlich Mount Aspiring heisst.

DSC00392

Am Roys Peak, im Hinergrund Mount Aspiring (Aus dieser Richtung gleicht er nicht wirklich “unserem” Matterhorn)

Nach dem „Roys Peak“ führte die Reise über den „Lindis Pass“ ins „Mc Kenzie Basin“. Hier wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, wie stark sich in Neuseeland die Landschaft auf einer kurzen Strecke verändern kann. Das „Mc Kenzie Basin“ ist ringsherum von Gebirgszüge umgeben, welche die feuchte Luft und das schlechte Wetter oft blockieren und das „Mc Kenzie Basin“ zu einer sehr trockenen Gegend machen, die fast wie eine Wüste aussieht. Interessant ist auch die Geschichte, wie die Region zu ihrem Namen kam. Wieder Mal war ein „James“ darin involviert. Aber nicht etwa der ruhmreiche Kapitän „James Cook“, nein es war der nicht so ehrenvolle „James Mc Kenzie“, welcher ca. 1860 mit rund 1000 gestohlenen Schafen als erster Europäer den Weg über den „Mc Kenzie – Pass“ ins „Mc Kenzie – Basin“ fand. Dieser „James“ gilt somit als Entdecker der Gegend, weshalb der erwähnte Pass und die Region nach ihm benannt wurden. Da zeigt sich mal wieder, dass es verschiedene Wege gibt, ruhmreiche und weniger ruhmreiche, um in den Geschichtsbüchern erwähnt zu werden.

Vom „Mc Kenzie Basin“ fuhr ich entlang des „Lake Pukaki“ in ein wildes Bergtal hinein. Und da erschien er stolz und prächtig vor mir, der gemäss einer Maori -(Ureinwohner von Neuseeland) Sage, versteinerte Grossvater mit seinem Enkel auf den Schultern, der „Aoraki“. Glitzernd weiss schimmerten an diesem Sonntagabend seine steilen Gipfelflanken in der neuseeländischen Abendsonne.

DSC00539

Der Aoraki (oder Mount Cook)

Die europäsichen Entdecker, welche Neuseeland zu Beginn des 18. Jahrhunderts erforschten, benannten diesen mit mehr als 3700 m höchsten Berg von Neuseeland „Mount Cook“. Natürlich zu Ehren des Kapitäns „James Cook“.

Am Fuss des Berges hatten die Touristiker von Neuseeland im letzten Jahrhundert ein kleines Feriendorf, das „Mount Cook Village“ erstellt, wo ich an diesem Abend übernachtete. Am folgenden Tag stand eine Bergtour zur „Müller Hütte“ auf dem Programm. Eine wunderbare Wanderung mit vielen Einblicken in die Gletscherwelt der Südalpen.

DSC00472

Mount Sefton, Mount Cook (Aoraki) mit der Müller – Hütte im Vordergrund

DSC00499

Gletscherabruch am Mount Sefton

Am Tag darauf besuchte ich Tekapo. Ein kleines Dorf an einem See im „Mc Kenzie“ – Bezirk. Der „Lake Tekapo“ gilt als der blauste See von Neuseeland. Wirklich ein sehr bemerkenswertert Ort. Ein kleines Dorf, ein blauer See, ringsherum Steppe und im Hintergrund die Südalpen. Einfach wunderschön! Eine Landschaft wie in einem Western! Und das nur wenige Kilometer von der Gletscherwelt des „Mt. Cooks“ entfernt. Neuseeland ist wahrhaftig ein sehr vielfältiges Land.

DSC00646

Tekapo und Lake Tekapo

Später erfuhr ich, dass die Landschaft nicht nur wie in einem Westernfilm aussieht, sondern dass auch ein paar Filme dieser Sorte am Lake Tekapo gedreht wurden. In Gedanken schnürte ich mir den Revolvergurt um, stieg auf das Pferd und ritt in die grenzenlose Freiheit hinaus.

DSC00587

Am Lake Tekapo

Die Luft über Tekapo ist ausgesprochen klar und oft frei von Feuchtigkeit und Verschmutzung. Es wird gesagt, dass nirgends in Neuseeland die Luft so rein ist wie im „Mc Kenzie“ – Gebiet. Entsprechend gut ist die Sicht. Auch der Schatten ist „gestochen“ scharf. Noch nie vorher war mir mein eigener Schatten so stark aufgefallen, wie als ich in Tekapo entlang des Sees lief. Ich photografierte immer wieder neue Schattenszenarien und hätte am liebsten ein Schattentheater aufgeführt….

DSC00625

“Catch the stone”

DSC00632

Wessen Schatten ist das????

Doch wenden wir uns von der Kunst zu der Wissenschaft. Den auch die Wissenschaft macht sich die klare Luft über Tekapo zu nutzen. Auf einem nahgelegenen Hügel (Mount John) steht nämlich ein sehr renommiertes Observatorium, das von der Universität Canterburry betrieben wird. Von dort schauen während der Nacht Forscher, Physiker und andere schlaue Leute in Richtung Universum, um noch unbekannte Sterne, neue Galaxien und Planete zu entdecken.

Am Abend um halb 10 Uhr besammelte ich mich mit rund 40 anderen Personen vor dem Büro von „Earth and Sky“ in Tekapo. Unser Ziel des Abends war, in die Sterne zu schauen. Natürlich nicht mit Madame Etoile und nicht unter der Leitung von DRS 3 (unverständlicherweise heute SRF 3 genannt), sondern mit „richtigen“ Astronomen und unter der Leitung der Universität Canterburry. Kurz nach der Besammlung fuhren zwei Buse vor und wir konnten einsteigen. Der Chauffeur begrüsste uns und began mit Plaudern über Tekapo, die Sterne, das Universum und den Nachthimmel. Er erklärte uns, dass Aufgrund der Lichtverschmutzung jegliches Benützen von Smartphones, Lampen, Fotokameras und dergleichen auf unserem Trip untersagt sei und bemerkte nebenbei, dass er dummerweise auch ohne Frontlicht auf den Berg zum Observatorium herauffahren müsse…. was ich mit einem Schmuntzeln zur Kenntniss nahm. Wir fuhren, natürlich mit Licht, in die Nacht hinaus. Etwa 5 km ausserhalb Tekapo bog unser Bus in eine Bergstrasse Richtung Observatorium ab. Der Fahrer stoppte, bedeckte das Armaturenbrett mit einem Tuch, schaltete die Lichter des Fahrzeuges aus und fuhr tatsächlich ohne Frontlicht die schmale Strasse zum Observatorium hoch…Und ich hatte gemeint dass sei ein Witz……… Vermutlich wiesen die Sterne unserem Fahrer den Weg und so kamen wir heil und ohne Probleme beim Parkplatz des Observatoriums an. Na ja, auch „Cook“ navigierte nach den Sternen, warum soll das ein Busfahrer im 21. Jahrhundert nicht auch können:-). Zu bemerken ist, dass natürlich während unserer Fahrt und während unserem Aufenthalt auf dem Mont John verschiedene Forscher in anderen Teilen des Observatoriums mit ihrer Arbeit beschäftigt waren, weshalb absolut keine Lichtverschmutzung tolerierbar war. Sogar die Strassenlampen in Tekapo sind eine spezielle Konstruktion, um den Nachthimmel nicht zu „verschmutzen“. Die Gegend ist als sogenanntes “Dark Sky Reserve” klassifiziert. Man geht davon aus, dass das Mont John Observatorium in Tekapo das einzige Observatorium auf der Welt ist, dass in nächtster Nähe zu zivilisiertem Gebiet einen absolut dunklen Nachthimmel bieten kann. Auf dem Jungfrauchjoch beispielsweise ist bei gutem Wetter in der Nacht die Lichtverschmutzung von Mailand sichtbar. In Tekapo stört einfach nichts den Nachthimmel. Das Erlebnis war entsprechend wahnsinnig!!! Hatte vorher nicht geglaubt, dass man einen solchen Sternenhimmel von der Erde aus sehen kann! Viele Planete, unzählige Sterne der Milchstrasse und sogar eine Nachbargalaxie, die angeblich lächerliche 160’000 Lichtjahre entfernt sein soll, waren in dieser Nacht mit blossen Augen sichtbar. Uns wurden Sternkombinationen wie das südliche Kreuz erklärt und mit speziellen Laiserpointern im Nachthimmel live gezeigt. Viele Seefahrer (natürlich auch Cook) sowie auch die Poniere der Luftfahrt nutzten solche Sternkombinationen, um zu navigieren. Natürlich konnten wir auch durch Teleskope schauen. Jupiter, Saturn, der Mond und viele Sternkombinationen konnten so bestaunt werden. Nach diesem Blick in die Sterne fuhr ich mit dem Auto, natürlich mit Frontlicht, durch das nächtlichte Neuseeland nach Queenstown zurück. Zwischendurch musste ich anhalten, aussteigen und für ein paar Minuten den Sternenhimmel beoabachten….

Auf diesen Ausflug folgten die letzten drei Schultage in der Englischschule in Queenstown und anschliessend began der Road – Trip in Richtung Auckland.

Nach zwei Tagen Autofahren, Wandern und Fotografieren sind ich und Riccardo, ein brasilianischer Kollege von der Sprachschule in Queenstown, nun am Arthurs Pass angekommen, wo ich diese Zeilen schreibe und zuhöre, wie die Regentropfen auf ihrem Weg zur Erde mit dem harten Dach des Hostels kollidieren.

Leider haben wir zuwenig Zeit, um am Arthurs Pass auf die Sonne zu warten, weshalb wir unsere Autofahrt unter Einsatz des Scheibenwischers und ohne Gipfelfoto vom „Avelanche Peak“ fortsetzen. Zwischendurch öffnet sich der Wolkenvorhang ein wenig und gibt die Sicht auf die umliegenden Berge frei, was immer wieder die Scharniere der Autotüren in Bewegung setzt und das ominöse „klick“, „klick“ der Digitalkameras auslöst. Per Zufall stossen wir auf die Informationstafeln über eine einfach zugängliche Höhle, die ein Bach in jahrelanger Arbeit durch einen Sandsteinhügel gegraben hat. Ja dann! Nichts wie los! In einer Höhle ist man zumindest geschützt vor dem Regen. Was aber nicht bedeutet, dass man nicht nass wird…. den dieser Bach fliesst immer noch durch die Höhle. Es lohnt sich aber sehr die Trockenheit der Hosen zu opfern und in teilweise hüfthohem Wasser durch die etwa 500 m lange Höhle zu vagabundieren.

Nach einer Übernachtung in „Springfield“ und einer kleinen Tour zum „Mount Hutt“ erreichen wir bei schönstem Sonnenschein „Christchurch“.

DSC01079

Abendstimmung in Christchurch

Und der Besuch dieser Stadt ist definitv eine sehr eindrückliche und zum Denken anregende Angelegenheit. In den Jahren 2010 und 2011 wurde „Christchurch“ von zwei heftigen Erdbeben heimgesucht und grossflächig zersört. Von diesen zwei extrem heftigen Erdstössen und den rund 11’000 (!) nachfolgenden, spürbaren Nachbeben hat sich die Stadt noch nicht erholt. Für viele Neuseeländer ist das „Christchurch“ ihrer Erinnerung in den Trümmern der eingestürzten Kathedralen und Gebäuden für immer vergraben. Man hofft, dass es einmal ein neues, ein anderes „Christchurch“ gibt. Das alte, bekannte „Christchurch“ ist in dieser Form nicht mehr aufbaubar und für immer verloren. Der Grossteil der vielen historischen Gebäuden der Stadt stürzten ein oder sind aus Sicherheitsgründen rückgebaut worden. Insgesamt müssen 1’600 Gebäude komplett abgebrochen und weggeräumt werden und viele Bewohner leben auch drei Jahre nach dem Beben immer noch in stark beschädigten Häuser. Das Stadtzentrum besteht aus kaputten und leerstehenden Gebäuden und vielen freigeräumten Plätzen.

DSC00956

Die Überresten der “Blessed Sacrament Curch”

 

Zwischendurch gibt es aber auch Lichtblicke zu entdecken. Bereits sind mehrere neue Gebäude in teilweiese recht exklusivem Baustil errichtet worden und bilden architektonische Tupfer in den Gassen und Strassen. Immer wieder sind kleine und grössere Kunstwerke auszumachen, die die Stadt farbiger und lebendiger erscheinen lassen. Eine provisorische Kirche und zu provisorichen Gebäuden umfunktionerte Schiffscontainer in bemerkenswerter Anordnung lassen mich staunen und stellen erfreuchliche Kontraste zur Grossbaustelle „Christchurch“ dar.

DSC01066

Farbiges Christchurch

 

DSC01063

Innovatives Christchurch: Restaurant aus Schiffscontainern

Nun neigt sich mein Aufenthalt auf der Südinsel von Neuseeland zu ende. Morgen geht es mit der Fähre in Richtung Nordinsel. Bin sehr gespannt, was mich dort alles erwartet!

See you soon

Kleine Randbemerkung: Aotearoa bedeutet Neuseeland in der Sprache der Maoris (Ureinwohner von Neuseeland)

 

 

 

 

Trackback URI | Kommentare als RSS

Einen Kommentar schreiben